GKV verlassen: Angestellter + selbständig

Beitragssätze, Kassenwahlrecht, Versicherungspflicht, SGB V, usw.

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stefanh
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GKV verlassen: Angestellter + selbständig

Beitragvon stefanh » 04.07.2011, 18:48

Hallo!

Folgender Sachverhalt liegt vor:

Person 21 Jahre alt, 2009 und 2010 als Azubi beschäftigt (~8.000 EUR Bruttojahresgehalt, 40-Stunden-Woche). Schon vor Abschließen des Ausbildungsvertrags bestand eine selbständige Tätigkeit, die 2010 einen Gewinn vor Steuern von 45.000 EUR erbrachte, für 2011 liegt der Gewinn vor Steuern bereits bei 60.000 EUR. Der relle zeitliche Umfang der selbständigen Tätigkeit beträgt 20 Stunden die Woche. Zum 01.06.2011 Aufnahme einer Tätigkeit als Angestellter bei der selben Firma auf 30-Stunden-Basis mit Vergütung von 23.400 EUR brutto im Jahr.
Die Person beschäftigt keine Angestellten, der zeitliche Umfang liegt (offiziell) unter dem der Angestelltentätigkeit, die Einnahmen der selbständigen Tätigkeit sind aber wesentlich höher.

Diese Person hat leider erst jetzt realisiert, dass für die Bemessung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung das Gesamteinkommen verwendet wird. Daher möchte ich sie so schnell wie möglich die gesetzliche Kasse verlassen. Auskünfte bei der künftigen Versicherung in der privaten und gesetzlichen Abteilung haben nichts Konkretes zu Tage gebracht, von einem Fragebogen der gesetzlichen Krankenversicherung war die Rede, die dann über den Austritt zu entscheiden habe.
Ich bin in der Annahme gewesen, dass in diesem Fall der GKV gekündigt werden kann, Begründung: hauptberuflich selbständig.

Gibt es Erfahrungen zu so einem Fall oder klare Richtlinien? Oder empfiehlt sich sogar das Hinzuziehen eines Anwalts, gerade was die Rückzahlung der Beträge von 2010 betrifft - einen Steuerbescheid hat die gesetzliche Versicherung nie verlangt.

Besten Dank für eine Einschätzung und viele Grüße
Stefan

Rossi
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Beitragvon Rossi » 04.07.2011, 19:26

Nun denn,

Ich bin in der Annahme gewesen, dass in diesem Fall der GKV gekündigt werden kann, Begründung: hauptberuflich selbständig.



Na klar, kannst Du die GKV kündigen und die Solidargemeinschaft verlassen, wenn Du selbständig bist. Hierzu musst Du aber - wenn ein freiw. Kv. besteht - Kündigungsfristen einhalten. Besteht die sog. Kralle (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB ) kannst Du die GKV ohne Kündigungsfrist verlassen.

In beiden Fällen (freiw. Kv. oder Kralle § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V) musst Du aber eine Absicherung im Krankheitsfall nachweisen. Dies wäre dann eine priv. Krankenversicherung. Diese beginnt niemals rückwirkend, sondern erst künftig mit dem Zustandekommen eines Versicherungsvertrages.

Also wirst Du in der GKV erst einmal nachlöhnen müssen. Aber es gibt hier Höchstgrenzen.

stefanh
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Beitragvon stefanh » 04.07.2011, 19:59

Danke für Deine Antwort!

Wenn ich dich richtig verstanden habe, reicht "selbständig" als Schlüsselwort. Ist damit der "Fragebogen" der GKV hinfällig? Teile ich einfach mit, dass ich kündige, da ich hauptberuflich selbständig bin (Zeit-/Verdienstgrenzen relevant im Vergleich zum Angestelltenverhältnis?) und schicke als Anhang die Versicherungsbestätigung der PKV?

Ich bin nicht freiwillig gesetzlich versichert, sondern wurde im Zuge meiner Ausbildung gesetzlich pflichtversichert. Vorher bestand eine elterliche PKV.

Rossi
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Beitragvon Rossi » 04.07.2011, 23:39

Oh weia, der Fall hat ja richtig Potential.

Wenn Du mich fragst, dann ist die Pflichtversicherung im Rahmen der Ausbildung kraft Gesetz erst gar nicht zustande gekommen. Es war von Anfang an -da hauptberuflich selbständig - keine gesetzliche Mitgliedschaft.

Aber zunächst eine weitere Frage:

Du hast in 2009 die Ausbildung aufgenommen, wie hoch ist lt. Steuerbescheid das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit für 2009. Bislang hast Du nur das Einkommen aus 2010 eingestellt.

Evtl. könnte man daraus ne richtig dolle Klamotte stricken!

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Beitragvon stefanh » 05.07.2011, 07:32

Oh weia, der Fall hat ja richtig Potential.


Ja, ich glaube auch :D

2009 und die Jahre zuvor (Gewerbe 2007 angemeldet) gab es keine nennenswerten Gewinne, es fiel immer unter den Einkommensteuerfreibetrag. Meine gesetzliche Kasse weiß aber zumindest nicht von mir, dass ich noch selbständig tätig bin. Das war von mir ohne Kalkül, da ich dachte, dass das zwei völlig unterschiedliche Sachen sind und für die Beitragsbemessung nur das Angestellten-/Azubientgelt relevant ist.

Falls noch von Bedeutung, ich war vorher über meinen Vater beihilfeberechtigt und zusatzversichert, ich konnte/durfte also bis zur Ausbildung auch gar nicht in die gesetzliche Kasse rein. Die Versicherung stand aber nicht im Zusammenhang mit meiner Selbständigkeit - bis dahin war ich ja noch Schüler.

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Beitragvon Rossi » 05.07.2011, 17:56

Tja, dann gehe ich mal davon aus, dass die Pflichtversicherung im Rahmen der Ausbildung zum 31.12.2009 von der GKV beendet wird.

Denn ab dem 01.01.2010 wird die Kasse vermutlich davon ausgehen, dass Du hauptberuflich selbständig bist und deswegen die Pflichtversicherung als Azubi beendet wird (§ vgl. § 5 Abs. 5 SGB V).

Da Du dann am 01.01.2010 nicht im Krankheitsfall abgesichert bist, wird Dich die Kasse in die sog. Kralle (§ 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V) nehmen, da Du zuletzt gesetzlich (bsi 31.12.2009) gewesen bist. Für die Beitragsbmessung gilt dann nicht nur das Ausbildungsgehalt und das Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit auch.

Oh weia, da kommt noch etwas!

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Beitragvon stefanh » 05.07.2011, 18:40

Das wird ja immer kniffliger. Da ich die Gewinne während meiner Ausbildungszeit erwirtschaftet habe, bin ich seit dem 01.01.2010 nicht mehr pflichtversichert, sondern "freiwillig" gesetzlich versichert. Okay.

Oh weia, da kommt noch etwas!


Hast du denn eine Idee, wie bzw. mit wessen Hilfe man die weiteren Schritte durchführen könnte? Mich fuchst ja, dass die GKV bisher von der selbständigen Tätigkeiten nichts weiß, ich gehe zumindest stark davon aus. Nun wäre es ja unklug, aus der GKV auszutreten mit 'nem Schreiben á la "ätsch bätsch, seit 01.01.2010 bin ich nicht mehr pflichtversichert!", oder? Das soll sich schon im Rahmen des Legalen bewegen. Vielleicht gibt's da interessante Möglichkeiten, die man zumindest ausprobieren sollte.

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Beitragvon Rossi » 05.07.2011, 19:10

Tja, es gibt - meines Erachtens - keine legale Möglichkeit der GKV nunmehr zu entfliehen.

Irgendwann wird es auffallen, dass Du hauptberuflich selbständig bist. Auch wenn Du jetzt 30 Std. in der Woche arbeitest und hieraus 23.400 Euronen erzielst, dürfte die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit eine wesentlich höhere Bedeutung haben.

Wie willst Du derzeit - die Kasse weiss ja nicht, dass Du wesentlich höhere Einnhamen aus der Selbständigkeit hast - der Kasse entfliehen. Die Kasse ab dem 01.06.2011, dass Du 23.400,00 Euro verdienst. Bei diesem Verdienst verbleibt man in der GKV. Teilst Du der Kasse allerdings mit, dass Du auch selbständig bist, dann wird die Kasse wach werden und nachbohren, ab wann es so ist.

Du solltest den Kopf unterm Arm nehmen und die Klamotte so schnell wie möglich bereinigen und die Hose runterlassen.

Ach ja, die Kasse wird dann auch vermutlich noch Säumniszuschläge fordern. Es sind immerhin pro Monat 1 % (12 % pro Jahr). Jenes ist für die Kasse eine gute Kapitalanlage, je länger Du wartest.

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Beitragvon stefanh » 05.07.2011, 19:48

Danke für Deine Beratung - das hat Klarheit in die Sache gebracht. Nun werde ich schauen, wie ich am schmerzlosesten die GKV verlassen kann.

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Beitragvon Dipling » 05.07.2011, 20:24

Man könnte auf die Idee kommen, die abhängige und offenbar weniger lukrative Arbeitnehmertätigkeit aufzugeben und dann stillschweigend in eine PKV zu wechseln.

Aber bei den Gewinnen sollte die Nachzahlung nicht allzu weh tun - außerdem sind die Nachzahlungen in vollem Umfang als Vorsorgeaufwendungen steuerlich absetzbar (effektiv trägt der Fiskus damit fast die Hälfte der Kosten - hoffentlich weiss zumindest das Finanzamt von der selbständigen Tätigkeit).

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Beitragvon stefanh » 05.07.2011, 22:48

Ungern. Die Stelle möchte ich schon behalten, da sie mir auch diverse Fortbildungsmöglichkeiten bietet.

Das Finanzamt weiß selbstverständlich davon Bescheid. Wie gesagt: es gab keine Intention, Beiträge zu hinterziehen oder die Tätigkeit zu verschleiern. Ich bin davon ausgegangen, dass das zwei Paar Schuhe sind - hätte ich's gewusst, wäre ich rechtzeitig ausgetreten.

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Beitragvon Rossi » 05.07.2011, 23:01

Okay,

Ich bin davon ausgegangen, dass das zwei Paar Schuhe sind - hätte ich's gewusst, wäre ich rechtzeitig ausgetreten.


Na ja, hätte wenn und aber!

Jenes hilft Dir derzeit nicht viel. Noch einmal, nehme den Kopf unterm Arm und kläre die Klamotte mit der Kasse.

Wenn Du glaubhaft nachweist, dass Du hiervon keine Kenntnis hattest, dann brauchst Du auch keine Säumniszuschläge (12 % pro Jahr) löhnen.

Was willst Du? Als Auszubildender in der Zeit vom 01.01.2010 - 30.06.2011 mit einem Eigenanteil zu KV/PV von schlappen 50,00 € pro Monat Dich aus der Schlinge retten, obwohl Du pro Monat ca. 650,00 € hättest zahlen müssen?

Jenes entspricht nicht den Solidarprinzipien!


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