Versicherungspflicht: Ja oder nein?

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vinzenz990
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Versicherungspflicht: Ja oder nein?

Beitragvon vinzenz990 » 20.09.2010, 15:37

Guten Tag!
Weiß hier evtl. jemand Rat:
Ein Arbeitnehmer (AN) liegt mit seinem Gehalt in 2006 etwas über der Pflichtversicherungsgrenze (PVG) und wechselt zum 01.01.2007 von der GKV in die PKV.
Sein Gehalt in den darauffolgenden Jahren 2007, 2008 und 2009 liegt unterhalb der PVG, aber über der Beitragsbemessungsgrenze.
Im Jahre 2010 kommt es zu einer Betriebsprüfung der Sozialversicherung.
Der Prüfer ist der Meinung, dass auf Grund des Gehalts zwischen 2007 und 2009 doch eine Versicherungspflicht bestanden hätte.
Die Lohnbuchhaltung des Unternehmens wird komplett durch einen Steuerberater durchgeführt.
Weiß vielleicht jemand:
-ob der Prüfer Recht hat?
-ob man dieses Problem durch einen rechtzeitigen Antrag auf endgültige Befreiung aus der GKV hätte lösen können?
-in wessen Verantwortung hätte es gelegen, AN, AG, oder Steuerberater, auf dieses Problem aufmerksam zu machen bzw. rechtzeitig einen Antrag zu stellen?
Ich bedanke mich jetzt schon mal fürs Lesen, Denken, und die hoffentlich kommenden Antworten.

Rossi
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Beitragvon Rossi » 20.09.2010, 19:11

Also, meines Erachtens hat der Prüfer recht.

Bei der Überschreitung der JAEG ist eine vorausschauende Betrachtungsweise vorzunehmen.

Hier besteht SV-Pflicht. Ein Antrag auf Befreiung ist nicht möglich, da dies vom Vorbehalt des Gesetzes nicht möglich ist.

Die Verantwortung dürfte hier beim Arbeitgeber bzw. dessen Steuerberater liegen.

Der Arbeitgeber ist nunmehr auch gegenüber der Kasse rückwirkend zur Zahlung verpflichtet. Mit den Lohnansprüchen (nicht eingehalten SV-Beiträge) kann der Arbeitgeber allerdings nur max. 3 Monate verrechen. Dies wird dann vermutlich Frequenzstörungen mit dem Arbeitgeber auslösen.

vinzenz990
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Beitragvon vinzenz990 » 21.09.2010, 08:39

Guten Morgen!
Erstmal vielen Dank für die Einschätzung der Situation.
Wie ist dann aber SGB V, §1 zu verstehen?
Zitat:
§ 8 SGB V Befreiung von der Versicherungspflicht
(1) Auf Antrag wird von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird
1.wegen Änderung der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 Satz 2 oder Abs. 7,
Zitat Ende
Was sind "Frequenzstörungen"?
Muss der AG, bei einem negativen Bescheid des Prüfers, nur für 3 Monate die Beiträge zur GKV zahlen, nur die eigenen oder auch den Arbeitnehmeranteil?
Vielen Dank und einen schönen Tag.
vinzenz990

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Beitragvon ratte1 » 21.09.2010, 14:50

Hallo,

der Arbeitgeber muss die Beiträge ab Beginn der (jetzt rückwirkend ab 01.01.07 festgestellten) Versicherungspflicht zahlen, kann aber nur die Arbeitnehmeranteile der letzten 3 Monate vom Entgelt des Arbeitnehmers einbehalten. Dass der AG nicht begeistert sein wird und das evt. den Arbeitnehmer spüren lassen wird, umschreibt rossi mit Frequenzstörung

MfG
ratte1

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Beitragvon Rossi » 21.09.2010, 17:41

Jooh, ratte1, so meinte ich es.

Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich in § 28 g SGB IV finden:

Der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund hat gegen den Beschäftigten einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags.

Dieser Anspruch kann nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden.

Ein unterbliebener Abzug darf nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist.

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Beitragvon vinzenz990 » 21.09.2010, 18:26

Puuuh, das hört sich nicht gut an.
Hätte man denn das Dilemma mit einem rechtzeitigen Antrag, wie in SGB V §1 beschrieben, umgehen können oder verstehe ich diesen § falsch?
Können auf den AN Regressansprüche aus der PKV zukommen, wenn schon Leisungen in nicht unerheblichem Umfang in Anspruch genommen wurden?
Was passiert überhaupt mit den Beiträgen zur PKV, wenn der AG für diese Jahre die Beiträge zur GKV nachzahlt?
Bestand dann da nicht de facto eine Doppelversicherung?

Rossi
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Beitragvon Rossi » 21.09.2010, 18:45

Die Möglichkeit nach § 8 SGB V sich auf Antrag von der Versicherungspflicht zu befreien, gilt nur für die Fälle, die aufgrund der jedes Jahr geänderten JAEG die Grenze auf einmal unterschreiten. Es gibt ja Fälle, die einen gleichbleibenden Lohn haben und bspw. in einem Jahr oberhalb der JAEG liegen. Im nächsten Jahr erhöht sich die JAEG - wie jedes Jahr. In dieser Konstellation kann man sich auf Antrag von der Versicherungspflicht wieder befreien lassen.

Aber ich denke mal, dass die Versicherungspflicht hier nicht allein durch die Erhöhung der JAEG von 2006 auf 2007 erfolgt ist, sondern weil einfach weniger verdient wurde, oder?

Die PKV kannst Du jetzt sofort kündigen, allerdings nur für die Zukunft und nicht rückwirkend. Du hast also 2 Versicherungen.



Ein rückwirkendes Kündigungsrecht hat man nur in den ersten 3 Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht. Bsp. Versicherungspflicht ab dem 01.01.2007; bis 31.03.2007 außerordentliches Kündigungsrecht rückwirkend zum 01.01.2007.

Das Ganze ergibt sich aus § 205 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

Tja, sieht nicht gut aus. Der Arbeitgeber wird vermutlich nachlöhnen müssen. Er kann nur von Dir max. 3 Monate zurückverlangen. Die PKV kann erst künftig gekündigt werden.

vinzenz990
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Beitragvon vinzenz990 » 21.09.2010, 22:33

Vielen Dank für Eure Einschätzungen, das sieht ja düster aus.
Ich bin übrigens nicht der AN sondern der AG, der seinem Steuerberater, der die komplette Lohnbuchhaltung für mich macht, erstmal in die Füße schießen wird.

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Beitragvon Rossi » 21.09.2010, 23:07

Boah,

dann mal ein herzliches Beileid!

Ich habe auch noch einmal die einschlägigen Kommentierungen hierzu durchgewälzt!

Du, als Arbeitgeber hast die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zu beachten.

Wenn Du sie nicht beachtest, dann löhnst Du - unter den Verjährungsvorschriften ( lfd. Jahr zzgl. 4 Jahre davor) - nach.

Sorry, ehrlich gesagt, ich würde jetzt nicht nur dem Steuerberater auf die Füße schießen, sondern ihm definitiv den schwarzen Peter anlasten.

Du bezahltst für den Steuerberater ne Menge Kohle in der Hoffnung, dass er fachkundig ist. Die Praxis zeigt hier offensichtlich, dass es nicht so war bzw. ist.

Nu geht es weiter!

Du bist in erster Linie gegenüber der Einzugsstelle zur Beitragsabführung verpflichtet, hast aber auf den fachkundigen Rat des Steuerberaters vertraut.

Ergeben sich hieraus evtl. Ansprüche aus dem BGB (Schadensersatzsansprüche etc.)?

In diesem Zusammenhang sollte dann geklärt werden, ob der Steuerberater eine sog. Berufshaftpflicht hat, die diesen Schaden evtl. regulieren könnte?

Boah, ne mehr als spannende Geschichte!

An dem Ausgang ist der Rossi mehr als brennend interessiert!

Hälst Du mich auf dem Laufenden, vinzen990?

So etwas nehme ich dann gerne zu meinen Seminarunterlagen!

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Beitragvon Dipling » 22.09.2010, 07:28

Jeder Steuerberater ist gesetzlich (§67 StBerG) verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zu haben, die Vermögensschäden etwa infolge falscher Beratung abdeckt.

Die Berufshaftpflichtversicherung zahlt jedoch keineswegs auf Zuruf des Steuerberaters, sondern prüft die Fälle eigenständig - was im Einzelfall auch eine Ablehnung bedeuten kann. Dann bleibt dem Mandanten des Steuerberaters nur, die Ablehnung zu akzeptieren oder den Rechtsweg zu beschreiten.

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Beitragvon vinzenz990 » 22.09.2010, 12:08

Na, dann werden wir mal sehen, was dabei rauskommt.
Wenn ich ein Ergebnis habe, werde ich es hier kurz mal posten.
Allen, die sich bisher an der Diskussion beteiligt haben, auf diesem Wege herzlichen Dank!

vinzenz990
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Beitragvon vinzenz990 » 24.11.2010, 18:41

Besser spät als nie!
Die Kuh ist vom Eis.
Durch eine "leichte" Verschiebung des Einkommens konnte der Gau verhindert werden.
Der AN muss sich jetzt allerdings wieder gesetzlich versichern.
Schwein gehabt.
Noch mal vielen Dank an alle, die sich hier an der Diskussion beteiligt habe.
Ich wünsche eine schöne Adventszeit!


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