80 % Risikozuschlag bei Bagatellebefunden?

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Sabine 1973
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80 % Risikozuschlag bei Bagatellebefunden?

Beitragvon Sabine 1973 » 12.07.2014, 05:06

Für unsere vierköpfige Familie haben wir per Ultimo 2013 Antrag auf Krankheitskostenvollversicherung gestellt und mussten zunächst € 480 pro Person für die Gesundheitsprüfung bei vom Versicherer vorgegebenen Ärzten berappen.

Bei mir wurde visuell eine „Varikosis bds. Beine“ diagnostiziert, d.h. Krampfadern. Irgendwelche Beschwerden hatte ich dadurch aber noch nie und war deswegen auch noch nie in ärztlicher Behandlung, was ich dem Versicherer auch mitteilte.

Zudem offenbarte ich der Vollständigkeit halber Heuschnupfen mit Überempfindlichkeit gegen Birkenpollen. Wie dem Versicherer gleichfalls mitgeteilt, war ich auch deswegen noch nie bei einem Arzt. Vielmehr bleibt es bei einer Selbstmedikation mit jährlich ein bis 2 Fläschchen Allergodil zu fünf Euro.

Ich war nicht wenig überrascht, als der Versicherer wegen der beiden beschriebenen Bagatellen 80 % Risikozuschlag auf den Grundtarif beanspruchte und 40 % auf den Zusatztarif für Zweibett-Zimmer und GOÄ-Überschreitung.

Ich habe daraufhin die angeblichen Krampfadern fachärztlich begutachten lassen, wobei auch eine Vielzahl von Messungen durchgeführt wurde. Das Ergebnis lautete, dass keineswegs Krampfadern beidseits an den Beinen vorliegen, sondern nur eine einzige kleinere in der Kniekehle links. Insbesondere wurde festgestellt, dass keine signifikante Stamminsuffizienz vorliegt.

Den Versicherer ficht dieses Ergebnis nicht an und er beharrt auf den Risikozuschlägen in unveränderter Höhe. Dabei argumentiert er völlig substanzlos mit Schlagworten wie „versicherungsmedizinische Sicht, künftige Rezidivgefahr und „statistischen Daten“.

Bei meinem Mann ist die Situation in Etwa analog. Hier wurden drei Blutwerte (Cholesterin, Harnsäure und GPT) mit einem einfachen „+“ von drei möglichen markiert. Nach gängiger Interpretation bedeutet das eine geringfügige Überschreitung von Referenzwerten, der keine Bedeutung zukommt, solange keine klinischen Befunde hinzutreten, was bei meinem Mann auch nicht der Fall ist.

Auch hier beansprucht der Versicherer +80 % und +40 % und andere Sätze scheint es dort nicht zu geben.

Als Resümee drei Fragen:

1) In Ansehung aller von den zu versichernden Personen ausgehenden Krankheitskostenrisiken würde ich aufgrund der vorliegenden Banalbefunde keinen über 10 % hinausgehenden Risikozuschlag für angemessen erachten. Es stellt sich die Frage, welcher Risikozuschlag adäquat wäre und wie man gegen die Festsetzung eines nicht adäquaten vorgehen kann?

2) Die pragmatische Alternative, Angebote anderer Versicherer einzuholen, dürfte ausscheiden, weil dann eine erneute Gesundheitsprüfung samt damit einhergehendem hohen finanziellen und zeitlichem Aufwand fällig würde? Jedenfalls wurde mir von zwei Versicherern erklärt, man übernehme nicht die Gesundheitschecks von Mitbewerbern und bestehe auf eigenen.

3) Als dritte Lösung könnte in Betracht kommen, weiterhin unversichert zu bleiben? Nach § 193, Abs. 4 VersVG dürfte zur Vermeidung künftiger Strafprämien ausreichend sein, bis 31.12.2013 den Vertragsabschluss beantragt zu haben? Dass dem Antrag auch ein Abschluss folgen muss, enthält das Gesetz nicht?

Vielen Dank für Eure Unterstützung.

Dipling
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Beitragvon Dipling » 12.07.2014, 11:35

Die PKVen wollen die lange Zeit Unversicherten nicht unbedingt haben. 480 EUR Untersuchungskosten pro Person(!) sind gleichwohl extrem hoch. Aufnahmepflicht besteht wenn dann nur im teuren Basistarif (dann ohne Risikozuschläge). Für Normaltarife dürfen sie auch unangemessen hoch erscheinende Risikozuschläge festsetzen bzw. können den Vertragsabschluss auch komplett ablehnen.

Allerdings sind auch hohe Risikozuschläge für harmlos erscheinende Leiden nicht selten, da erhöhtes Risiko von Folgeerkrankungen besteht (z.B. Heuschnupfen -> erhöhte Gefahr von Asthma)

Wie ist denn der berufliche Status der Familienmitglieder?
Wo bestand zuletzt eine Versicherung?

Sabine 1973
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Beitragvon Sabine 1973 » 13.07.2014, 05:32

Mein Mann war nur vor Jahrzehnten zusammen mit seiner verstorbenen Mutter krankenversichert (PKV). Er ist Unternehmer in Ruhestand mit hohem Vermögenseinkommen. Insofern könnten wir unsere Krankheitskosten selbst tragen und haben nur aufgrund des Drucks durch die Gesetzeslage PKV-Antrag gestellt.

Ich bin Hausfrau ohne eigenes Einkommen und war nach meiner Studentenzeit noch kurzzeitig freiwillig versichert. Das mag so vor zwölf Jahren geendet haben.

Und dann sind da noch unsere zwei Kinder, minderjährig, Schüler und ohne eigenes Einkommen.

Es wäre natürlich höchst bedenklich, wenn von der Politik einerseits auch die PKV obligatorisch gemacht wird und andererseits von einem Versicherer nicht verlangt werden kann, zu den ausgelobten Tarifen auch tatsächlich zu kontrahieren, bzw. sich unangemessener Risikozuschläge zu enthalten.

Hätten Beschwerden an Ombudsmann und BaFin Erfolgsaussicht und gibt es ansonsten Rechtsmittel?

Dipling
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Beitragvon Dipling » 13.07.2014, 14:46

Die Regierung hatte ja einen Tarif mit Kontrahierungszwang geschaffen - den sogenannten "Basistarif"- der Leistungen auf GKV-Niveau bietet, allerdings sehr teuer ist (für Erwachsene in der Regel ca. 700 EUR pro Monat inkl. Pflegeversicherung). Der Basistarif ist daher nur eine Notlösung, auch wenn keine Risikozuschläge anfallen dürfen.

In den sogenannten Normaltarifen darf die PKV über Risikozuschläge und die Aufnahme überhaupt frei entscheiden ("Vertragsfreiheit"). Eine Alternative ist, mit der PKV über einen Leistungsausschluss anstelle des Risikozuschlages zu verhandeln. Für bestimmte Krankheiten bestünde dann kein Versicherungsschutz, aber das wäre immer noch besser als der Status der kompletten Nichtversicherung.

Als zuletzt GKV-versicherte Ehefrau ist aber nur die letzte GKV (oder deren Rechtsnachfolgerin) zur Wiederaufnahme verpflichtet. Bei Meldung bis zum 31.12.2013 wären keine Nachzahlungen angefallen. Bei einer Meldung jetzt würden im Rahmen der Verjährungsfristen ca. 2000-2500 EUR anfallen, laufende Monatsbeiträge je nach Einkommen des Ehemannes zwischen 158 und 350 EUR. Die Kinder wären beitragsfrei mitversichert, falls das Gesamteinkommen des Ehemannes die JAEG von zur Zeit 53550 EUR pro Jahr bzw. 4462,50 pro Monat nicht übersteigt.

Für den zuletzt PKV-versicherten Ehemann bliebe die PKV zuständig.

Eine andere Alternative (ohne Nach-oder Strafzahlungen) sind EU/EWR-Dienstleister. Das sind internationale Krankenversicherungen mit Zulassung in Deutschland, welche die Versicherungspflicht in Deutschland erfüllen können. Nur die Pflegepfichtversicherung wäre noch bei einer deutschen PKV abzuschließen.

Sabine 1973
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Beitragvon Sabine 1973 » 14.07.2014, 06:04

Supi, 1000 Dank, das klingt toll: Dann könnte ich bei Nachzahlung von maximal € 2500 und einer Monatsprämie von maximal € 350 zurück zur Barmer, obschon das Einkommen meines Mannes weit über der Pflichtversicherungsgrenze liegt. Arbeitseinkommen hat er übrigens keines, nur Vermögenseinkommen.

Ebenso wusste ich bisher nicht, dass es zusätzlich in Deutschland zugelassene internationale Krankenversicherer gibt. Wird von diesen auf absurde Risikozuschläge verzichtet und gibt es irgendwo eine Liste dieser Unternehmen, bzw. an welches sollte ich mich wenden?

Leistungsausschlüsse wurden in unserem Fall von der PKV übrigens abgelehnt.  

Dipling
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Beitragvon Dipling » 14.07.2014, 14:52

Für die Mitversicherung der Kinder bei der GKV zählt das Gesamteinkommen (inkl. Vermögenseinkommen) des Ehemannes. Höchstgrenze ist die genannte JAEG.

Risikozuschläge gibt es bei EWR-Dienstleistern nicht. Dafür allerdings eine Moratoriumsregelung. D.h. nachweisliche oder bekannte Erkrankungen der letzten 5 Jahre sind zunächst nicht abgedeckt. Treten innerhalb der ersten zwei Jahre seit Vertragsabschluss keine erneuten Beschwerden auf, sind diese Vorerkrankungen wieder versichert.

Vermittelt werden die europäischen Krankenversicherungen meist über Makler (z.B. "neue KV" und einige weitere). Einfach mal nach EU EWR Dienstleister googeln.

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Beitragvon Frank » 14.07.2014, 16:50

Risikozuschläge werden erhoben um zukünftige Kosten abzufedern. Allergien z.B. können zu Heuschnupfen, aber auch zu Asthma führen.

Risikozuschläge sind verhandelbar, wenn man "im Gespräch" mit der Gesellschaft ist. Da hilft es, wenn man als Vermittler langjährige Kontakte hat. Die hat der Kunde aber nicht. Und wenn man als Nichtversicherter eh nicht zur gewünschten Zielgruppe gehört, helfen auch abschreckende Risikozuschläge einen Kunden nicht versichern zu müssen.

Es wäre besser gewesen gleich einem erfahrenen Fachmann für Krankenversicherungen ins Boot zu holen.

Sabine 1973
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Beitragvon Sabine 1973 » 16.07.2014, 08:38

Klar, dass hinter der Eigendiagnose „Heuschnupfen“ auch arge Verböserungsmöglichkeiten stehen können, denn ärztlich vorgestellt habe ich mich deswegen ja noch nie. Aber an einer diesbezüglichen Aufklärung ist der Versicherer in keiner Weise interessiert und schwingt nur die Keule mit den 80 % Risikozuschlag. Letztlich könnte sich aber dieses Verhalten als relevant im Sinne des Antidiskriminierungsgesetzes erweisen, das ja in die Vertragsautonomie durchaus eingreift.

Dass wir bei unserem Versicherungsvermittler nicht unbedingt optimal aufgehoben waren, dürfte durchaus richtig sein, nur vorweg hat er leider das Gegenteil beteuert.


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